Die Bammerthüsli Kunst Projekte 2022 sind ein Ausstellungsprojekt im ländlichen Raum am Südostende der Oberrheinischen Tiefebene. Im Westen und Süden wird das Gebiet durch den Rhein, im Osten durch den Schwarzwald begrenzt; nach Norden bildet die Neumagen-Möhlin-Niederung eine Grenze. Die Gegend zeichnet sich als eine von Menschen stark umgestaltete Naturlandschaft mit dichter Besiedelung aus und ist vor allem durch Wein-, Obst- und Ackerbau landwirtschaftlich geprägt; ein Landschaftsbild, das als pittoresk und ästhetisch reizvoll gesehen wird.
Die Etablierung der ästhetischen Landschaft als Distinktionsmerkmal in der Außen- und Selbstwahrnehmung ist für diese Gegend ausschlaggebend geworden und als Marke für Tourismus und Landwirtschaft inzwischen ein wirtschaftlicher Faktor. Eingebettet in den historisch gewachsenen, europäischen Wirtschaftsraum der ›Blauen Banane‹, wurde die Region zu einem Standort für industrielle und gewerbliche Betriebe und liegt auf der verkehrsreichen Nord-Süd-Achse. Das Spannungsfeld von Selbst- und Außenwahrnehmung, privaten und öffentlichen Interessen sowie von Erhalt und Veränderungen erfordert ein ständiges Austarieren.
Die Bammerthüsli Kunst Projekte sind als Kunstausstellung unmittelbar in diese Strukturen integriert und verorten sich im öffentlichen Raum. Ausgangsort dafür sind die Bammerthüsli, die durch ihre Lage eine differenzierte Betrachtung von Kunst und Umgebung ermöglichen.
Bammerthüsli sind kleine, freistehende Bauwerke in den Rebbergen, in welchen bis in das 20. Jahrhundert ein Bannwart (alemannisch Bammert) die reifenden Trauben gegen Vögel und Mundraub schützte. Die ältesten Gebäude stammen aus dem späten 18. Jahrhundert, waren im Gegensatz zu ähnlichen Architekturen anderer Weinanbaugebiete administrative Einrichtungen und sind auf den alemannischen Sprachraum beschränkt. Mit der Rationalisierung und Mechanisierung des Weinbaus verschwand die Funktion der Bannwarte. Bis auf wenige Häuser, die zu Wasserhochbehältern oder Denkmalen umgenutzt wurden, steht die Mehrzahl der Bammerthüsli heute leer.
Bammerthüsli sind von massiver Bauart, mehrheitlich aus regionalem Kalkstein gemauert, verputzt und zeigen einige architektonische Besonderheiten. Manche sind zweigeschossig ausgeführt, mit einem kellerartigen Tonnengewölbe im Untergeschoss, darüber ein lichtes Obergeschoss mit Fenstern zu allen Seiten. Sie weisen einen ungefähr quadratischen Grundriss und Zelt- oder Satteldächer auf. Andere sind eingeschossig oder in Hänge gebaut und erzeugen dadurch eine höhlenartige Erscheinung. Die heutige Einrichtung besteht meist aus Bänken und Schornsteinen; Umrisse von Feuerstellen erinnern an die einfache Wohneinrichtung der früheren Nutzung.
In ihrer Form wirken die Architekturen wie Prototypen eines Hauses – kapselartig von ihrer Umwelt abgeschlossen. Bei näherer Betrachtung ist die Trennung zwischen Innen- und Außenraum nicht so strikt wie vermutet: Die Bammerthüsli werden durch ihre Umgebung definiert und offenbaren ihr Inneres schon vor dem Betreten, da sich die äußerlich sichtbare Architektur im Inneren einlöst. So fällt der Blick unmittelbar nach dem Betreten wie bei einem Köşk oder einer Belvedere durch eine der Fensteröffnungen in die Umgebung. Das Fehlen von Fensterglas verstärkt die Durchlässigkeit – die Architektur wird zur Membran.
Von der Ferne erinnern Bammerthüsli an Staffagebauten oder Follies der Gartenarchitektur im 19. Jahrhundert. Im Gegensatz zu diesen sind Bammerthüsli nicht aus ästhetischen Gründen oder mit Blick auf eine bestimmte Gestaltung erbaut worden, sondern aus funktionalen Gesichtspunkten. Die Standorte wurden vermutlich aus strategischen und besitzrechtlichen Aspekten festgelegt. Erst der Verlust ihrer Funktion und die Wahrnehmung der Umgebung als einheitliche, ästhetische Landschaft lässt die Gebäude als kompositorisch gesetzte Fixpunkte in einem Ganzen erscheinen.
Als architektonische Solitäre stehen die Bammerthüsli nicht im direkten Bezug zu anderen Gebäuden. Ursprünglich abseits von Dörfern und Städten gelegen, scheinen sie nicht Teil dieser Siedlungstrukturen zu sein. Vom alltäglichen Leben aus betrachtet wirken sie entrückt, eremitisch. Durch eine Änderung des Fokus’ setzen sich die Bammerthüsli jedoch ab und treten über Siedlungen, Straßensysteme und topografische Gegebenheiten hinweg in Beziehung zueinander – sie bilden ein Rhizom. Dieses Geflecht bildet einen Raum: »Jeder Ort in diesem Raum ist bestimmt durch seine Lage im Ganzen, zuletzt durch seine Beziehung zum Nullpunkt des diesen Raum ordnenden Koordinatensystems.«*
Nullpunkt dieses Koordinatensystems ist die Gegend der südlichen Vorbergzone des Schwarzwaldes, eine Kulturlandschaft mit dichter Überlagerung verschiedener Beziehungsgeflechte. Unter anderem hat sich hier mit Landwirtschaft, Politik und Sprache über Religion und Industrialisierung bis hin zu Architektur und Tourismus über Jahrhunderte eine komplexe Gemengelage entwickelt. Durch die Koexistenz und das Entstehen von Beziehungsräumen und Konflikten zwischen diesen kommt es zu andauernden Neugewichtungen, in denen die Bammerthüsli seit dem Ende des 20. Jahrhundert nur noch eine unbedeutende Rolle inne haben.
Die Bammerthüsli Kunst Projekte bilden aus dem Geflecht der Bammerthüsli einen rhizomatischen Kunstraum im geografischen Raum, in welchem die einzelnen Projekte in den Dialog mit den jeweiligen Orten, der unmittelbaren Umgebung und in das Verhältnis zueinander treten.
Diese wechselseitigen Beziehungen sind das Prinzip für die Entwicklung der Bammerthüsli Kunst Projekte: Gemeinsame Besuche der Künstler/innen vor Ort bildeten den Ausgangspunkt für die Ausstellungsentwicklung, die im fortlaufenden Gespräch Form annahm. So entstanden eigenständige Kunstwerke, die ergänzend zu ihren immanenten Aussagen immer auch ein gemeinsames Nachdenken thematisieren. Die Projekte verhandeln dabei nicht immer spezifische Themen, sondern verfolgen die Idee, durch Kunst als ästhetische Erfahrung historische, architektonische, politische, soziale und ästhetische Fragen anzuregen. Sie erlauben einen Blick auf Beziehungsgeflechte wie Natur, Landschaft, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft; gleichzeitig wird die temporär ausgestellte Kunst zum Nullpunkt eines neuen Koordinatensystems. So muss neben dem gedanklichen auch der physische Raum zwischen den Orten zurückgelegt werden, teilweise bis zu zehn Kilometer zwischen einzelnen Projekten, um sich ein vollständiges Bild der Bammerthüsli Kunst Projekte zu machen.
Dabei rückt mit der Struktur der Bammerthüsli Kunst Projekte insbesondere die Frage nach körperlichen und zeitlichen Erfahrungen in einer Zeit zunehmender Digitalisierung in den Fokus. Im Gegensatz zu Modellen von ortlosen, virtuellen Ausstellungsprojekten fordern die Projekte eine körperliche und sinnliche Präsenz, die durch eine Verengung auf eine fotografische oder filmische Abbildung nicht erfahrbar ist.
In diesem Rahmen finden die Projekte von Sophie Innmann, Tanja Kodlin, Anna Schütten, Ramòn Graefenstein, Kriz Olbricht und David Semper ephemere und physische Formen, die sich zwischen Abwesenheit und Präsenz verorten. Einzelne Projekte beziehen sich konkret auf eine Architektur, während andere zwei oder mehr Bammerthüsli umfassen oder den Raum zwischen ihnen thematisieren. Es gibt Überschneidungen, Abschweifungen und das verbindende Dazwischen.
Gleich einer Langzeitstudie läßt der zeitliche Verlauf von über hundert Tagen Beobachtungen zu, die über eine übliche Kunstbegegnung hinaus gehen. Als frei zugängliche Ausstellung geben die Bammerthüsli Kunst Projekte die Möglichkeit einer zufälligen Konfrontation oder eines bewussten Erlebens; sie können übersehen werden und müssen nicht verstanden werden – vor allem nicht unmittelbar.
Der prozesshafte Charakter der Ausstellung findet sich auch in der grafischen Gestaltung von Raphael Mathias wieder: Die aus historischen Graffiti in einzelnen Bammerthüsli entwickelte Typografie wird modular eingesetzt und gibt der Kommunikation einen starken Wiedererkennungswert, ohne zur Schablone zu werden. Anstelle eines Kataloges verortet der vorliegende Faltplan die Situation der Bammerthüsli Kunst Projekte kartografisch in der Region und bietet durch den Verzicht von eingezeichneten Routen die Möglichkeit, sich auf individuelle Weise den einzelnen Projekten zu nähern. Postkarten informieren zu den einzelnen Projekten der Künstler/innen und vervollständigen den Faltplan.
Das Markgräfler Museum Müllheim nimmt als Kooperationspartner bei den Bammerthüsli Kunst Projekten eine Sonderstellung ein: Es ist in diesem Zusammenhang nicht Ausstellungsort der Kunst, sondern wird durch den Inforaum zu einem geografischen und funktionalem Angelpunkt der Ausstellung. Obgleich der Besuch der einzelnen Projekte unabhängig möglich ist, bietet der Inforaum die Möglichkeit, sich über die einzelnen Künstler/innen wie auch zum Ausstellungsprojekt zu informieren und bei Bedarf eigene Erfahrungen durch einen Besuch im Markgräfler Museum zu ergänzen.
Mein herzlicher Dank gilt Sophie Innmann, Tanja Kodlin, Anna Schütten, Ramòn Graefenstein und David Semper. Ohne den Austausch und ihre Arbeiten wären die Bammerthüsli Kunst Projekte nicht zu dem geworden, was sie jetzt sind. Mein tiefer Dank gilt auch Jan Merk, Kulturdezernent der Stadt Müllheim und Leiter des Markgräfler Museums in Müllheim. Ohne seine Offenheit, sein Interesse und seinen Einsatz hätte dieses Ausstellungsprojekt nicht in dieser Form stattfinden können. Ein großes Dankeschön möchte ich Raphael Mathias aussprechen, der intensiv und ausdauernd die grafische Gestaltung entwickelt hat. Gedankt sei auch der Stadt Müllheim, hier besonders Ralf Kuppel vom Gebäudemanagement für die Offenheit und die unkomplizierte Zusammenarbeit sowie der Stiftung Kunstfonds, dem Markgräfler Museum Müllheim und dem Markgräfler Museumsverein e. V. für ihre finanzielle Unterstützung. Abschließend möchte ich mich bei Simon Baumann und Jakob Koelbing für ihre Unterstützung bei der Realisierung bedanken.
Kriz Olbricht
Burckhardt, Lucius: Warum ist Landschaft schön?. Berlin, 2006.
Deleuze, Gilles; Guattari, Félix: Rhizom. Berlin, 1977. Fulton,
Hamish: Keep Moving. Mailand, 2005.
Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung Stuttgart, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Dortmund (Hrsg.): Entwicklung der Ländlichen Räume in Baden-Württemberg. Stuttgart, 2020.
Jenne, Peter: Fortschreibung Landschaftsplan Gemeindeverwaltungsverband Müllheim-Badenweiler, Teil A und B. Bad Krozingen, 2010.
Seidl, Ernst (Hrsg.): Lexikon der Bautypen. Stuttgart, 2012.
* Straus, Erwin: ›Landschaftlicher und geografischer Raum‹, in: Stephan Günzel (Hrsg.): Texte zur Theorie des Raums. Berlin, 2013, S. 51.
Die Bammerthüsli Kunst Projekte 2022 sind ein Ausstellungsprojekt im ländlichen Raum am Südostende der Oberrheinischen Tiefebene. Im Westen und Süden wird das Gebiet durch den Rhein, im Osten durch den Schwarzwald begrenzt; nach Norden bildet die Neumagen-Möhlin-Niederung eine Grenze. Die Gegend zeichnet sich als eine von Menschen stark umgestaltete Naturlandschaft mit dichter Besiedelung aus und ist vor allem durch Wein-, Obst- und Ackerbau landwirtschaftlich geprägt; ein Landschaftsbild, das als pittoresk und ästhetisch reizvoll gesehen wird.
Die Etablierung der ästhetischen Landschaft als Distinktionsmerkmal in der Außen- und Selbstwahrnehmung ist für diese Gegend ausschlaggebend geworden und als Marke für Tourismus und Landwirtschaft inzwischen ein wirtschaftlicher Faktor. Eingebettet in den historisch gewachsenen, europäischen Wirtschaftsraum der ›Blauen Banane‹, wurde die Region zu einem Standort für industrielle und gewerbliche Betriebe und liegt auf der verkehrsreichen Nord-Süd-Achse. Das Spannungsfeld von Selbst- und Außenwahrnehmung, privaten und öffentlichen Interessen sowie von Erhalt und Veränderungen erfordert ein ständiges Austarieren.
Die Bammerthüsli Kunst Projekte sind als Kunstausstellung unmittelbar in diese Strukturen integriert und verorten sich im öffentlichen Raum. Ausgangsort dafür sind die Bammerthüsli, die durch ihre Lage eine differenzierte Betrachtung von Kunst und Umgebung ermöglichen.
Bammerthüsli sind kleine, freistehende Bauwerke in den Rebbergen, in welchen bis in das 20. Jahrhundert ein Bannwart (alemannisch Bammert) die reifenden Trauben gegen Vögel und Mundraub schützte. Die ältesten Gebäude stammen aus dem späten 18. Jahrhundert, waren im Gegensatz zu ähnlichen Architekturen anderer Weinanbaugebiete administrative Einrichtungen und sind auf den alemannischen Sprachraum beschränkt. Mit der Rationalisierung und Mechanisierung des Weinbaus verschwand die Funktion der Bannwarte. Bis auf wenige Häuser, die zu Wasserhochbehältern oder Denkmalen umgenutzt wurden, steht die Mehrzahl der Bammerthüsli heute leer.
Bammerthüsli sind von massiver Bauart, mehrheitlich aus regionalem Kalkstein gemauert, verputzt und zeigen einige architektonische Besonderheiten. Manche sind zweigeschossig ausgeführt, mit einem kellerartigen Tonnengewölbe im Untergeschoss, darüber ein lichtes Obergeschoss mit Fenstern zu allen Seiten. Sie weisen einen ungefähr quadratischen Grundriss und Zelt- oder Satteldächer auf. Andere sind eingeschossig oder in Hänge gebaut und erzeugen dadurch eine höhlenartige Erscheinung. Die heutige Einrichtung besteht meist aus Bänken und Schornsteinen; Umrisse von Feuerstellen erinnern an die einfache Wohneinrichtung der früheren Nutzung.
In ihrer Form wirken die Architekturen wie Prototypen eines Hauses – kapselartig von ihrer Umwelt abgeschlossen. Bei näherer Betrachtung ist die Trennung zwischen Innen- und Außenraum nicht so strikt wie vermutet: Die Bammerthüsli werden durch ihre Umgebung definiert und offenbaren ihr Inneres schon vor dem Betreten, da sich die äußerlich sichtbare Architektur im Inneren einlöst. So fällt der Blick unmittelbar nach dem Betreten wie bei einem Köşk oder einer Belvedere durch eine der Fensteröffnungen in die Umgebung. Das Fehlen von Fensterglas verstärkt die Durchlässigkeit – die Architektur wird zur Membran.
Von der Ferne erinnern Bammerthüsli an Staffagebauten oder Follies der Gartenarchitektur im 19. Jahrhundert. Im Gegensatz zu diesen sind Bammerthüsli nicht aus ästhetischen Gründen oder mit Blick auf eine bestimmte Gestaltung erbaut worden, sondern aus funktionalen Gesichtspunkten. Die Standorte wurden vermutlich aus strategischen und besitzrechtlichen Aspekten festgelegt. Erst der Verlust ihrer Funktion und die Wahrnehmung der Umgebung als einheitliche, ästhetische Landschaft lässt die Gebäude als kompositorisch gesetzte Fixpunkte in einem Ganzen erscheinen.
Als architektonische Solitäre stehen die Bammerthüsli nicht im direkten Bezug zu anderen Gebäuden. Ursprünglich abseits von Dörfern und Städten gelegen, scheinen sie nicht Teil dieser Siedlungstrukturen zu sein. Vom alltäglichen Leben aus betrachtet wirken sie entrückt, eremitisch. Durch eine Änderung des Fokus’ setzen sich die Bammerthüsli jedoch ab und treten über Siedlungen, Straßensysteme und topografische Gegebenheiten hinweg in Beziehung zueinander – sie bilden ein Rhizom. Dieses Geflecht bildet einen Raum: »Jeder Ort in diesem Raum ist bestimmt durch seine Lage im Ganzen, zuletzt durch seine Beziehung zum Nullpunkt des diesen Raum ordnenden Koordinatensystems.«*
Nullpunkt dieses Koordinatensystems ist die Gegend der südlichen Vorbergzone des Schwarzwaldes, eine Kulturlandschaft mit dichter Überlagerung verschiedener Beziehungsgeflechte. Unter anderem hat sich hier mit Landwirtschaft, Politik und Sprache über Religion und Industrialisierung bis hin zu Architektur und Tourismus über Jahrhunderte eine komplexe Gemengelage entwickelt. Durch die Koexistenz und das Entstehen von Beziehungsräumen und Konflikten zwischen diesen kommt es zu andauernden Neugewichtungen, in denen die Bammerthüsli seit dem Ende des 20. Jahrhundert nur noch eine unbedeutende Rolle inne haben.
Die Bammerthüsli Kunst Projekte bilden aus dem Geflecht der Bammerthüsli einen rhizomatischen Kunstraum im geografischen Raum, in welchem die einzelnen Projekte in den Dialog mit den jeweiligen Orten, der unmittelbaren Umgebung und in das Verhältnis zueinander treten.
Diese wechselseitigen Beziehungen sind das Prinzip für die Entwicklung der Bammerthüsli Kunst Projekte: Gemeinsame Besuche der Künstler/innen vor Ort bildeten den Ausgangspunkt für die Ausstellungsentwicklung, die im fortlaufenden Gespräch Form annahm. So entstanden eigenständige Kunstwerke, die ergänzend zu ihren immanenten Aussagen immer auch ein gemeinsames Nachdenken thematisieren. Die Projekte verhandeln dabei nicht immer spezifische Themen, sondern verfolgen die Idee, durch Kunst als ästhetische Erfahrung historische, architektonische, politische, soziale und ästhetische Fragen anzuregen. Sie erlauben einen Blick auf Beziehungsgeflechte wie Natur, Landschaft, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft; gleichzeitig wird die temporär ausgestellte Kunst zum Nullpunkt eines neuen Koordinatensystems. So muss neben dem gedanklichen auch der physische Raum zwischen den Orten zurückgelegt werden, teilweise bis zu zehn Kilometer zwischen einzelnen Projekten, um sich ein vollständiges Bild der Bammerthüsli Kunst Projekte zu machen.
Dabei rückt mit der Struktur der Bammerthüsli Kunst Projekte insbesondere die Frage nach körperlichen und zeitlichen Erfahrungen in einer Zeit zunehmender Digitalisierung in den Fokus. Im Gegensatz zu Modellen von ortlosen, virtuellen Ausstellungsprojekten fordern die Projekte eine körperliche und sinnliche Präsenz, die durch eine Verengung auf eine fotografische oder filmische Abbildung nicht erfahrbar ist.
In diesem Rahmen finden die Projekte von Sophie Innmann, Tanja Kodlin, Anna Schütten, Ramòn Graefenstein, Kriz Olbricht und David Semper ephemere und physische Formen, die sich zwischen Abwesenheit und Präsenz verorten. Einzelne Projekte beziehen sich konkret auf eine Architektur, während andere zwei oder mehr Bammerthüsli umfassen oder den Raum zwischen ihnen thematisieren. Es gibt Überschneidungen, Abschweifungen und das verbindende Dazwischen.
Gleich einer Langzeitstudie läßt der zeitliche Verlauf von über hundert Tagen Beobachtungen zu, die über eine übliche Kunstbegegnung hinaus gehen. Als frei zugängliche Ausstellung geben die Bammerthüsli Kunst Projekte die Möglichkeit einer zufälligen Konfrontation oder eines bewussten Erlebens; sie können übersehen werden und müssen nicht verstanden werden – vor allem nicht unmittelbar.
Der prozesshafte Charakter der Ausstellung findet sich auch in der grafischen Gestaltung von Raphael Mathias wieder: Die aus historischen Graffiti in einzelnen Bammerthüsli entwickelte Typografie wird modular eingesetzt und gibt der Kommunikation einen starken Wiedererkennungswert, ohne zur Schablone zu werden. Anstelle eines Kataloges verortet der vorliegende Faltplan die Situation der Bammerthüsli Kunst Projekte kartografisch in der Region und bietet durch den Verzicht von eingezeichneten Routen die Möglichkeit, sich auf individuelle Weise den einzelnen Projekten zu nähern. Postkarten informieren zu den einzelnen Projekten der Künstler/innen und vervollständigen den Faltplan.
Das Markgräfler Museum Müllheim nimmt als Kooperationspartner bei den Bammerthüsli Kunst Projekten eine Sonderstellung ein: Es ist in diesem Zusammenhang nicht Ausstellungsort der Kunst, sondern wird durch den Inforaum zu einem geografischen und funktionalem Angelpunkt der Ausstellung. Obgleich der Besuch der einzelnen Projekte unabhängig möglich ist, bietet der Inforaum die Möglichkeit, sich über die einzelnen Künstler/innen wie auch zum Ausstellungsprojekt zu informieren und bei Bedarf eigene Erfahrungen durch einen Besuch im Markgräfler Museum zu ergänzen.
Mein herzlicher Dank gilt Sophie Innmann, Tanja Kodlin, Anna Schütten, Ramòn Graefenstein und David Semper. Ohne den Austausch und ihre Arbeiten wären die Bammerthüsli Kunst Projekte nicht zu dem geworden, was sie jetzt sind. Mein tiefer Dank gilt auch Jan Merk, Kulturdezernent der Stadt Müllheim und Leiter des Markgräfler Museums in Müllheim. Ohne seine Offenheit, sein Interesse und seinen Einsatz hätte dieses Ausstellungsprojekt nicht in dieser Form stattfinden können. Ein großes Dankeschön möchte ich Raphael Mathias aussprechen, der intensiv und ausdauernd die grafische Gestaltung entwickelt hat. Gedankt sei auch der Stadt Müllheim, hier besonders Ralf Kuppel vom Gebäudemanagement für die Offenheit und die unkomplizierte Zusammenarbeit sowie der Stiftung Kunstfonds, dem Markgräfler Museum Müllheim und dem Markgräfler Museumsverein e. V. für ihre finanzielle Unterstützung. Abschließend möchte ich mich bei Simon Baumann und Jakob Koelbing für ihre Unterstützung bei der Realisierung bedanken.
Kriz Olbricht
Burckhardt, Lucius: Warum ist Landschaft schön?. Berlin, 2006.
Deleuze, Gilles; Guattari, Félix: Rhizom. Berlin, 1977. Fulton,
Hamish: Keep Moving. Mailand, 2005.
Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung Stuttgart, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Dortmund (Hrsg.): Entwicklung der Ländlichen Räume in Baden-Württemberg. Stuttgart, 2020.
Jenne, Peter: Fortschreibung Landschaftsplan Gemeindeverwaltungsverband Müllheim-Badenweiler, Teil A und B. Bad Krozingen, 2010.
Seidl, Ernst (Hrsg.): Lexikon der Bautypen. Stuttgart, 2012.
* Straus, Erwin: ›Landschaftlicher und geografischer Raum‹, in: Stephan Günzel (Hrsg.): Texte zur Theorie des Raums. Berlin, 2013, S. 51.